Zur Problematik von Aussetzungen und Ansiedlungen

Holger Meinig, Bielefeld, Hans Peter Eckstein, Wuppertal

Jahrbuch für Feldherpetologie 3;  S.163-167;  Duisburg, den 31.12.1989


Immer wieder finden sich in der Literatur Hinweise auf Aussetzungen oder Umsiedlungen von gebietsfremden Faunenelementen. Häufig wird, um die "artenarme" heimische Fauna zu "bereichern", durch "engagierte" Mitbürger eine geringe Anzahl von Amphibien, deren Larven oder Reptilien ausgesetzt, von denen die meisten Tiere kaum eine Überlebenschance haben. In Einzelfällen stabilisieren sich nach 2-3 Jahren Klein(st)-Populationen (KORDGES 1988). In Ballungsräumen lässt sich inzwischen kaum noch nachvollziehen, welche Amphibienpopulationen nicht durch Aussetzungen oder Umsiedlungen verändert worden sind (KORDGES 1988, ECKSTEIN & MEINIG 1989).

Oft ist festzustellen, daß die Aussetzungen ohne Kenntnisse über die Art, deren Ansprüche und Auswirkungen auf die schon bestehende Lebensgemeinschaft durchgeführt wurden. Wenig Berücksichtigung finden die Ansprüche der Tierart in Bezug auf Klima, Höhenverbreitung, Nahrungsanforderungen und andere biotische und abiotische Faktoren.

Beispiele für "gelungene" Aussetzungen oder Ansiedlungen stellen die Würfelnatter (Natrix tesselata) und der Seefrosch (Rana ridibunda) in der Schweiz dar. Die in der Westschweiz nicht heimische Würfelnatter ist inzwischen an einigen Seen verbreitet, in Konkurrenz zu der autochthonen Vipernatter (Natrix maura) getreten und verdrängt diese (GROSSENBACHR mündl. Mitt.). Der Seefrosch (Rana ridibunda), wahrscheinlich um 1920 aus Osteuropa eingeführt, hat sich in  der Westschweiz stark verbreitet. Beobachtungen aktiven Fressens von Wasser- und Grasfröschen, Laubfröschen und Erdkröten durch diese Seefrösche liegen vor. Eine Verarmung der im gleichen Habitat lebenden Lurchfauna ist zu verzeichnen. GROSSENBACHER (1988) schreibt über die Ansiedlung der Seefrösche in der Schweiz von ´einem unkontrollierbaren Experiment mit unerwünschten Nebenwirkungen...´.

In Nordrhein-Westfalen (BRD) besteht im Bereich Winkelsmühle (Kreis Mettmann) seit mindestens 2 Jahren die dortige Ringelnatterpopulation zu etwa 10 - 15 % aus semiadulten und adulten Streifenringelnattern (Natrix natrix persa), ob eine Vermehrung stattfindet, ist  nicht bekannt (MAY, mündl. Mitt.) Bei Monheim (Kreis Mettmann) sind auf einer Deponie seit 1982 mindestens vier russische Ringelnattern (Natrix natrix scuttata) gesehen worden (MAY, mündl. Mitt.). Da sich Unterarten der Ringelnatter fertil kreuzen (MERTENS 1950), ist eine Vermischung mit den heimischen Populationen zu befürchten.

Ausgesetzte Amphibien und Reptilien stören die langfristig ausgebildete Biozönosen z. B. durch Prädation, verstärkter Aufteilung von Ressourcen (WARINGER-LÖSCHENKOHL 1988) und Verdrängung der Arten, die gegenüber den gebietsfremden Amphibien und Reptilien, die die gleichen ökologischen Nischen besetzen, konkurrenzschwächer sind.

RYKENA (1988) weist darauf hin, dass Zauneidechsen (Lacerta agilis) an der nördlichen Arealgrenze trotz der für sie schlechteren klimatischen Bedingungen eine bis zu 5 Tagen kürzere Eizeitungungsdauer als Hauptverbreitungsgebiet haben. Zugesetzte Tiere aus anderen Gebieten könnten unter Umständen mehrere Jahre mit den heimischen Tieren reproduzieren, ehe unter besonders schlechten Bedingungen (zu hohe - zu niedrige Temperaturen; zu hohe Luftfeuchtigkeit; zuviel Niederschlag; zu geringe Sonnenscheindauer) die inzwischen genetisch veränderte Population zusammenbricht.

Das Aussetzen von Schildkröten, Ochsenfröschen und Fischen ist in Großstädten leider an der Tagesordnung und trägt stark zur Verarmung der heimischen Amphibienfauna durch Fressen von Larven und Adulttieren bei (KLEWEN 1988). Die ausgesetzten Tier lassen sich selbst in kleiner Anzahl nicht oder nur mit sehr zeitintensiven Maßnahmen wieder entfernen. Im besten Fall  sterben sie nach einiger Zeit.

Anders erscheint es sich im Fall der Äskulapnatter (Elaphe longissima) zu verhalten, zu der in die bestehende (ebenfalls nicht autochthone) Population bei Schlangenbad oberitalienische Tiere 1905-1907 ausgesetzt wurden (KLEMMER 1985). Allerdings ist nicht bekannt, ob die italienischen Tiere überlebt und sich in die bestehende Population durch Reproduktion "eingemischt" haben. Eine Ansiedlung von 40 Schlangenbader Äskulapnattern 1853/54 bei Schlitz in Oberhessen (Mertens 1948) scheint sich bis heute gehalten zu haben.

Wir verweisen im Zusammenhang mit Umsiedlungen oder Aussetzungen auf die "Augsburger Empfehlungen" (1981), die von einem 45-köpfigen Gremium von Fachleuten aus Instituten, Behörden, und von Praktikern des Artenschutzes formuliert wurden:

1. Ansiedlungen kommen nur bei Arten in Frage, die trotz aktiven und intensiven Schutzes ihrer Restbestände nicht in der Lage sind (in absehbarer Zeit), auf natürliche Weise ihre früheren Vorkommensgebiete wieder zu besiedeln.

2. Der Aussetzung soll eine Untersuchung der Ursachen des Erlöschens bzw. des Rückgangs der betreffenden Art vorausgehen.

3. Die Aussetzungen müssen innerhalb des gegenwärtigen oder historischen Verbreitungsgebietes und in geeigneten Lebensstätten (Biotopen) durchgeführt werden.

4. Eine sorgfältige Auswahl optimaler Aussetzungsplätze einschließlich der Beseitigung der Gefährdungsursachen und der Durchführung gezielter Pflege und Gestaltungsmaßnahmen muß noch vor der Aussetzung der Tiere erfolgen.

5. Erstellung einer Erfolgsprognose nach wissenschaftlichen Methoden und vergleichbaren Erfahrungen für das geplante Aussetzungsprojekt, in der u.a. alle möglichen Folgen der Aussetzung analysiert werden (wirtschaftliche, epizootische, ökologische).

6. Informationen der örtlichen Bevölkerung und aller Interessengruppen über Ziele und Ablauf der geplanten Vorhaben, um deren Zustimmung oder Unterstützung zu sichern.

7. Verzicht auf Maßnahmen, die anderen Zielen des Naturschutzes widersprechen, wie z.B. eine Reduktion oder Ausrottung anderer Arten.

8. Beschaffung und Aussetzung müssen in Übereinstimmung mit den geltenden Rechtsbestimmungen erfolgen (Fangerlaubnis, Washingtoner-Artenschutzübereinkommen, Import-Export-Vorschriften, Tierschutzrecht, evtl. Aussetzungserlaubnis etc.).

9. Zur Aussetzung sollen nur Tiere gelangen, die taxanomisch und ökologisch der ehemaligen Population identisch oder möglichst ähnlich ist.

10. Die Entnahme von Tieren für Aussetzungszwecke darf nicht aus Populationen erfolgen, die dadurch gefährdet würden.

11. Bei der Durchführung der Aussetzungsaktion muß dafür Sorge getragen werden, daß:

  1. durch entsprechende Vorbereitung die Einpassung der Tiere in den neuen Lebensraum  erleichtert wird

  2. seine natürlichen Verhaltensweisen zur Entfaltung kommen können

  3. eine rasche Vermehrung erfolgen kann

12. Eine fortlaufende Betreuung und Überwachung der ausgesetzten Tiere bis zum Zeitpunkt ihrer Integration in die örtliche Biozönose muß gewährleistet sein.

13. Eine angemessene zeitliche Begrenzung der Projekte ist erforderlich, um zu verhindern, daß ohne Chancen echter Ansiedlung permanent ausgesetzt wird.

14. Unerläßlich ist das Führen einer Dokumentation. Sie soll für eine wissenschaftliche Auswertung zugänglich sein.

15. Die Aussetzung soll in zwei Etappen erfolgen

  1. zunächst in einem eng begrenzten Raum, bis feststeht ob eine echte Ansiedlung möglich ist, und falls ja

  2. bei vorhandenen zusagender Biotope an mehreren Punkten des früheren Areals

Soweit es notwendig und möglich ist, sollten Ansiedlungen auch international abgestimmt bzw. koordiniert werden.

 

Literatur

ANL/BFANL-Kolloquium (1981): Empfehlungen für die Wiedereinbürgerung gefährdeter Tiere. - Natur und Landschaft 57: 31

ECKSTEIN, H.P. & H. MEINIG (1989): Umsiedlungen und Aussetzungen in Wuppertal. - In: Jb. Feldherpetologie 3: 168-176

GROSSENBACHER , K. (1988): Verbreitungsatlas der Amphibien der Schweiz. - Schweizerischer Bund für Naturschutz (Hrsg.): 207 S.

KLEMMER, K. (1985): Status und Schutzproblematik der Äskulapnatter. - Natur und Lndschaft 60: 351-353

KLEWEN, R. (1988): Verbreitung und Ökologie der Wasserfrösche in Nordrhein-Westfalen und ihre Bestandssituation im Ballungsraum Duisburg/Oberhausen. - In: GÜNTHER, R. & R. KLEWEN (Hrsg.): Beiträge zur Biologie und Bibliographie der europäischen Wasserfrösche. - Jb, Feldherpetologie, Beiheft 1: 73-96.

KORDGES, T. (1988): Zur Wasserfroschproblematik in Ballungsräumen - eine Essener Fallstudie. - In: GÜNTHER, R. & R. KLEWEN (Hrsg.): Beiträge zur Biologie und Bibliographie der europäischen Wasserfrösche. - Jb, Feldherpetologie, Beiheft 1: 97-104.

MERTENS, R. (1948): Neues über das Vorkommen der Äskulapnatter in Deutschland. - Natur und Volk 78: 78-81.

RYKENA; S. (1988): Innerartliche Differenzen bei der Eizeitigungsdauer von Lacerta agilis. - In: GLANDT, D. & W. BISCHOFF (Hrsg.): Biologie und Schutz der Zauneidechse. - Mertensiella 1: 41-53.

WARINGER-LÖSCHENKOHL, A. (1988): Sukzession und Wachstum von Amphibienlarven in vier Kleingewässern in Wien und Niederösterreich. - Salamandra 24: 287-301.



Erstellt: 29.05. 2001  Last Update 13.03.2012